Dienstag, 17. Juli 2007

ganz spontan

gleich treffen wir uns. jawohl. phillip, mein held in den letzten atemzügen. und ich. (ich?)
ein treffen, das notwendig erscheint vor dem hintergrund, dass er mein gehalt zahlt und ich nicht von heut auf morgen kündigen kann. eindeutig ein nachteil, wenn man mit seinem chef schläft, und er sich nachher benimmt wie scheiße. ein vorteil ist, dass du nach einem solchen promiskuitiven akt auf jeden fall ganz spontan zwei wochen urlaub nehmen kannst, da kann man nicht meckern. dumm ist, wenn der urlaub vorüber geht und das erste mittwochs-meeting wieder auf dem programm steht. da muss man schon mal am dienstag abend miteinander sprechen, das hilft nix.
nur wer geht hin? und was sollen die betreffenden (ich lass da keinen alleine hin) anziehen? rosa spaziert hier gerade mit einem weißen und mehr oder weniger transparenten babydoll auf und ab. esperanza hat eine knallenge bluejeans angezogen und die sandaletten, die cat als fick-mich-schuhe zu bezeichnen pflegt. theresa will ein weißes hemd und eine marlene-dietrich-nadelstreifenhose anziehen, agathe eine bluse (hallo? eine bluse?), cat ist es egal (sie ist in jedem outfit unhöflich) und kathrin steht mit verschränkten armen daneben und grinst und ist nicht besonders hilfreich. rosa und esperanza müssen definitiv draußen bleiben. andererseits waren sie oft ein gutes team, die jeans find ich ehrlich gesagt nicht schlecht. sandaletten vom fuß. turnschuhe an. zerschlissen. alles muss ein wenig zerschlissen aussehen. keinesfalls so, als hätte ich darüber nachgedacht, was ich anziehen soll. die haare einmal durchgestrubbelt, wenn ich glück habe, wird es die geniale mischung zwischen cool, jugendlich und gerade aus dem bett geklettert.
braune kurze haare können extrem störrisch sein. ich aber auch. ok. kurzer blick in den spiegel. beiläufig. ganz beiläufig.
apropos beiläufig: wir haben keinen plan. null. nix. gar keinen. nicht ein bisschen plan haben wir. es ist nicht so, als hätten wir es nicht versucht, alle an einen tisch zu bekommen. aber jeder ist sowas von mit sich beschäftigt, alle quatschen durcheinander, keiner weiß wohin und das klein mädchen starrt nur trostlos in die gegend.
das ist ungut. ich sehe sie schon allesamt unkontrolliert auf ihn einquatschen. theresa fängt wieder mit der verantwortung an. wie schuldig sie sich jetzt fühlt, außerordentlich schuldig. schon seit der frühesten kindheit schuldig, weil der eigene vater es nicht hat lassen können - oh gott nicht auszudenken, wenn sie diese tour fährt. oder rosa mit drehenden ringellöckchen, die mit strahlenden babyaugen fragen wird: eehrlich? du willst es wieder tun? und gaby, die seine rückzugsmail auseinandernimmt und ihm sagt, wie viel er falsch gemacht hat, wie dumm er doch gewesen sei, wie verantwortungslos (mit verantwortung haben es einige von uns) und wenn agathe sich dann auch noch fertig machen wird mit der alten leier, dass sie das niiieemals hätte tun dürfen, cat ein paar wirklich unverschämte dinge sagen wird und dann evtl doch noch esperanza den rest des abends übernimmt, um die dinge wieder "ins lot" zu bringen, dann wissen wir genau, worauf das ganze hinauslaufen wird.

blieben da noch kathrin, jean paul, kiki und susi.

wer nun jean paul, kiki und susi sind, muss beizeiten geklärt werden. ich schmeiß mir ein fleckiges shirt über. gleich klingelts und ich denke, wir gehen einfach ALLE, scheiß doch drauf.

ohne plan.

ganz spontan.

Donnerstag, 12. Juli 2007

Später Spott

"Mir kommen die Tränen."
Kathrin. Endlich!
"Kleine Angelina!", rezitiert sie dramatisch, " Wie gerne würde ich mal richtig schön mit dir vögeln. Hosiannah in der Höh, wie gern! Als Chef, als Freund oder als Irgendwer, völlig egal. Ebenso egal wie die Tatsache, dass sich dein Muttermal unter dem rechten Auge befindet, denn, kleine Angelina, glaube mir bitte, wer braucht schon Muttermale, wenn er an Brüste denkt, und ich habe längst durchschaut, dass du 'es' doch auch willst, und wenn du nur genügend an dich denkst, wird dir das auch baldmöglichst einfallen, und dann buche ich uns ein billiges Hotel und dann kannst du mir mal zeigen, wo deine Schwächen und Stärken liegen und wie weich dein Herz in Wirklichkeit ist."
Wahrlich! Ein großes Danke dem Wind, der mich in Phillips Schoß geweht hat. Phillip. Mein Held. Keiner scheint jemals tiefer geblickt zu haben. Das Muttermal ist übrigens eines meiner Trumpf-Asse in Sachen 'charismatische Ausstrahlung'. Mein Englischlehrer hat sich seinerzeit kurz vorm Abitur Hals über Kopf in mich verknallt, als wir diese Geschichte von Hawthorne gelesen hatten, wie hieß sie nochmal, Heideggers Experiment oder so, und für eine kurze zeit war auch er ein Held, aber egal - jedenfalls gibt es keinen Mann, der das Muttermal bisher nicht bemerkt hat. Und in der Tat, es befindet sich unter dem rechten Auge, nicht unter dem linken Auge. Dort prangt es als kreisrunder, kleiner brauner Fleck, von dem Cat häufig behauptet hat, es sei eine tätowierte Knastträne, recht niedlich vor sich hin.
Aber es ist später Spott, den ich jetzt zusammenkratze. Als ich diese Mail bekam, stand schon beim Lesen der Betreffzeile das halbe Haus unter Wasser. Mit verschwommener Sicht konnte ich den Curser nur mit Mühe bewegen, die Mail zu öffnen, und das erste was ich sah, war die Phrase "nur dein Bestes", und als ich eine halbe Stunde später immer noch weinte, hatte ich es immer noch nicht geschafft, alle diese wunderbaren Sätze vollständig zu erfassen. Phrase für Phrase ergossen sich Sturzbäche der Rührung über die Tastatur. Wie gut, dass ich damals nicht zurückschrieb. Wie gut, dass ich bei der Besprechung am nächsten Tag lediglich ein schüchternes Rosa-Lächeln schenkte und ein Esperanza-Zwinkern gleich hinterher. Damals hatte ich sie noch alle beisammen. Aber das ist schließlich zwei Jahre her.
Später Spott.
Spott über einen gefallenen Helden.
Freude bereitet das nicht.

Betreff: Kleine Angelina

Kleine Angelina!

Nun kennen wir uns schon so lange und du glaubst immer noch, mir alles erklären zu müssen? Dich für alles entschuldigen zu müssen? Immerzu perfekt sein zu müssen?
Das musst du nicht. Schon lange nicht mehr. Und sollte - was ich bezweifel - je die Notwendigkeit bestanden habe, dann, weil ich dich erst langsam kennen gelernt habe, in all deinen Facetten und Schattierungen.
Jetzt kenn ich dich, kenne deine Sorgen, deine Stärken, deine Schwächen, kenne dieses kleine Muttermal unter deinem linken Auge, sehe es in den kleinen Fältchen deiner Nase verschwinden, wenn du lächelst, sehe, erlebe deine Weisheit, dein weiches Herz, deine Verletzlichkeit, aber auch deine Härte und Zähigkeit, ich weiß, wie sehr du weißt, was du willst, und weiß, wie sehr du es nicht weißt, beobachte dein Misstrauen, bemerke deine Verlassenheit und ziehe meine Schlüsse...
Dich unter all diesen Menschen tapfer lächeln zu sehen, tut mir oft weh. Wie gern wär ich mehr für dich da, ein besserer Chef, ein besserer Freund, ein besserer Irgendwer.
Glaube mir, dass du nichts für mich tun musst, versuche, mir zu glauben, dass ich (so blöd sich das auch anhört) nur dein Bestes will, dass ich viel mehr verstehe, als du denkst, dass ich auch weit mehr bemerke und durchschaue. Denke bitte an dich, kleine Angelina, tu mir den Gefallen, denke bitte nicht so viel an die Anderen, und an mich schon gar nicht.

Du bist ein wunderbarer Mensch und ich bin dem Wind dankbar, der dich in mein Leben geweht hat.

Mehr braucht es gar nicht.

Phillip

Montag, 9. Juli 2007

Agathe

Zumindest war er es nur zum Teil. Er war es schon mal hinsichtlich seiner grauer Haare und seines Bartes, und er war es ganz sicherlich auch hinsichtlich der Figuren, die er ansprach. Aber Phillip selbst ist reichlich uninteressant.
Nein. Das rede ich mir nicht im Nachhinein ein, weil es dann weniger schmerzt, neinnein, keine Trotzreaktion. Phillip ist ein müder älterer Mann Er ist klug und dabei nicht uncharmant, einer der wenigen Männer, die mich, uns alle, immer wieder zum Lachen bringen konnten. Dass er der Chef war, machte ihn natürlich nicht weniger reizvoll. Dass er hingegen seine Frau Helene wahlweise Lenchen oder Leni nannte und sich von ihr die Kuchenkrümel aus dem Bart sammeln ließ, stand auf einem anderen Blatt. Die betreffende entmystifizierende Szene wurde von mir schon mit süßen zweiundzwanzig Lenzen beobachtet und ist neun Jahre lang bis ins betagte Alter von einundreißig nicht aus meinem Gedächtnis zu streichen gewesen. Rosa drehte dennoch weiterhin all die Jahre augenklimpernd ihre Kringellöckchen, und Esperanza gurrte ohnehin nach alter Gewohnheit seidenweich in Phillips behaarte Ohren. Allerdings war bisher Verlass auf die Esperanza-Rosa-Kombination. Naivität trifft Herzlosigkeit. Unerreichbarer ging es nicht.
Was genau uns schlussendlich bewogen hat, in diese schmuddelige Hotelzimmerfalle zu tappen, auf volles Risiko zu gehen, ohne Netz ohne doppelten Boden, gilt es nun herauszufinden. Ich habe große Zweifel daran, dass es lediglich auf die anarchischen Zustände an der inneren Tafelrunde zurückzuführen ist. Weiterhin bezweifel ich, ob ich wirklich genau wissen will, was darüber hinaus dahinter steckt. Dummerweise habe ich irgendwann begonnen zu fragen, und es ist äußerst schwierig, nach ein paar Antworten plötzlich einen Rückzieher zu machen.
"Das hätte ich gleich sagen können, aber mich hat ja keiner gefragt." Natürlich. Agathe. Weiß der Himmel, warum sie so lange auf sich hat warten lassen. Aber da ist sie. Mit verkniffenen Zug um den Mund schlurft sie mit hängenden Schultern in die Runde, zwei strenge Falten auf der Stirn, augenrollend, der lebendige Vorwurf. "Alle Männer sind gleich." Aha. Die alte Leier. "Ihr solltet es besser wissen. Alles ist schiefgelaufen. Ihr habt versagt. Einfach versagt. Hättet Ihr mal auf mich gehört. Aber nein. Es musste ja so kommen. Keiner hört auf mich. Wenn man einmal nicht hinschaut, macht Ihr alles verkehrt. Hat einer von Euch an die Konsequ-" "Halts Maul, oder ich spring dir in deine missmustige Fresse!" Na Bravo. Ich weiß nicht, wann Cat den Respekt vor Agathe verloren hat. Früher standen alle Spalier bei Fuß, wenn sie auftrat. Früher war sie auch viel öfter da. Die Zeit, in der wir dazu übergingen, uns hinter ihrem Rücken genervte Blicke zuzuwerfen, ist mir noch gut im Gedächtnis, aber eine solche Dreistigkeit hatte ich noch nicht erlebt. Auch Agathe blieb der Mund auf diese Bemerkung hin weit offen stehen. Alle anderen schauten betreten zu Boden. Cat brummte nun ihrerseits missmutig vor sich hin: "Ist doch wahr. Verdammte Hacke, was sollen diese Scheißvorwürfe? Wir wissen alle, dass das ein Griff ins Klo war."
"Griff ins Klo? Ihr seid sooo gemein. Phillip liebt uns. Er weiß es nur noch nicht." Rosas Stimmchen. Na super. Wer braucht eigentlich Rosa? Weiß der Geier, wie sie in dieser Runde gelandet ist.
Agathes Mund klappte wieder zu, jedoch nur um sich gleich im Anschluss erneut zu öffnen. Erstaunlicherweise endete nun das, was als Fortsetzung ihrer üblichen Litaneien begann, in einem verblüffend konstruktiven Beitrag: "Ich wusste es von Anfang an. Das konnte nicht gut gehen. Und alles nur wegen einer einzigen fürsorglichen Email. Ihr seid so leicht zu beeindrucken, dass ich vor Scham im Boden versinken möchte. Peinlich seid Ihr. Blöde. Einfach nur zu blöde!! Wie konntet ihr nur so blöd sein." Das wäre ewig so weitergegangen, wenn ich mich nicht eingeschaltet hätte. Das mit der Email war hochinteressant, und ich muss mich wundern, dass ich nicht von alleine drauf gekommen bin. Möglicherweise lag das aber daran, dass es nichts mit Sex zu tun hatte.
Ich muss diese Mail nochmal lesen. Vielleicht steckt doch ein roter Faden in diesem chaotischen Klumpen. Vielleicht kann ich ihn zurückverfolgen.
Mal sehen, ob die alten Muster noch funktionieren...

Sonntag, 8. Juli 2007

Wer nicht fragt, bleibt dumm.

Wie konnte das nur passieren? Die Frage stellten wir uns alle. Sie enthielt auch alle anderen Fragen, die nach dem Warum und dem Wann und Wo, ja auch 'Wann' und 'Wo' waren wichtig, denn bestimmbar irgendwann und bestimmbar irgendwo werden Abzweigungen in bestimmte Richtungen genommen, und auch Phillip und ich sind zu einem gewissen Zeitpunkt von der Unberechenbarkeit in die Vorhersagbarkeit gerutscht, nur wann war das? Und wo ist da wer gewesen? Genau, 'Wer' gibts ja auch noch. Wie konnt ich das vergessen. Für mich als Kontrolleurin war diese Frage eigentlich die wichtigste. Seht Ihr, das ist die Scheiße am Chaos. Nachher kann man nichts mehr nachvollziehen. Alle machen, was sie wollen, tun es, wann und wo sie wollen, und plötzlich tut es weh und keiner kann mehr sagen, wie das zustande kam. Dementsprechend auch nicht, wie es wieder zu bereinigen und unter Kontrolle zu bringen ist.
Noch ein Beispiel: In Kontrollzeiten stieß Gaby, unsere Nörglerin, eine Kollegin vor den Kopf. Ich wusste genau, was Gaby damals wann und wie gesagt hatte, wusste noch, dass Theresa einsprang und zu retten versuchte, wusste, dass zum Schluss Rosa da stand, albern lächelte und lauter Unsinn erzählte. Eine völlig missratene Vorstellung.
Worum ging es da noch? Es wurde über den Chef (Phillip, geht es denn immer nur um Phillip?) getratscht, deshalb kam Gaby überhaupt erst zum Einsatz. Dann wurden Kollegen durchgehechelt. Gaby hielt eine flammende Rede über Verantwortungsbewusstsein und die diesbezüglichen Mängel und gab eine Geschichte zum besten über "eine Kollegin, die nie Verantwortung übernimmt", "sich immer schön den Rücken freihält" und "sowieso nur den ganzen Tag quatscht und die Leitung belegt". Gaby setzte noch einen drauf und erwähnte die halberwachsenen Söhne besagter Kollegin, die ständig anriefen, weil sie wahlweise mit dem Abiturstress oder der nicht enden wollenden Pubertät nicht klarkamen.
Uppsi. Vorsicht mit solchen Bemerkungen. Ich weiß, ich weiß. Aber ist Gaby erstmal in Fahrt, ist sie kaum zu bremsen. Sie fühlt sich dann wichtig und ernst genommen, wenn sie schlechte Sachen sagen kann. Sie weiß und kann auch alles besser, hält sich selbst für perfekt und unangreifbar und vergisst gerne mal den Ruf aller anderen, vergisst - glaub ich - sogar, dass es uns andere gibt. Ich lauerte hinter ihr und sah, dass sich das Gesicht der Sekretärin zuzog, die sich offensichtlich angesprochen fühlte, was daran liegen konnte, dass sie zwei halberwachsene Söhne hatte, die ständig in der Firma anriefen, und erkannte, dass Gaby mal wieder nicht genau genug hingeschaut hatte, schickte Theresa an die Front, die nun ihrerseits einen Vortrag über die Verantwortungslosigkeit ALLER hielt, dass das ja auch alles nicht schlimm sei, im Gegenteil, es sei "sehr gesund", sich Verantwortung vom Leib zu halten, sie wisse ja, wie das ist, sie selbst sei "ihr Leben lang verantwortlich gewesen", man müsse auch "endlich mal Verantwortung losweren", naja, wie sie halt so ist, blablabla. Unsere Theresa eben, die manchmal ganz einfühlsam sein kann, aber ganz eindeutig auf dem falschen Thema erwischt wurde. Und schwupps trat Rosa auf die Bildfläche und kicherte und erzählte, sie habe sich wohl grade "um Kropf und Kagen geredet", hihi, "Kropf und Kagen, sehr lustig", hihi, es solle sich "keiner im Raum persönlich angegiftet fühlen", hihi, "äh angesprochen", sie hätte ja keinen "ankeifen, äh angreifen" wollen und dann kam Cat und sagte: "ich geh mal eine rauchen", das passiert meistens, wenn wir verunsichert sind.
Diese Szene wurde damals in einer endlos langen Nachbesprechung von allen Seiten beleuchtet. Alle möglichen Konsequenzen und die entsprechenden Wahrscheinlichkeiten wurden genauestens durchgesprochen und die passenden Pläne A bis G aufgestellt. Am nächsten Tag trat tatsächlich Konsequenz Nummer 2 ein (Sekretärin grüßte nich mehr.), es wurde mit entsprechenden Plan B (Sonnenblume, wie wir wussten Lieblingsblume von Sekretärin, und Gespräch von Frau zu Frau, Theresa war RICHTIG gut!) reagiert, alles war wieder im Gleichgewicht, und ich atmete wieder auf.

Wie gut hat das getan, diese Besprechungen aufzugeben, wie viel Zeit wir, vor allem ich, plötzlich gewannen. Und wie wurscht mir das plötzlich war, ob uns die Verwaltungsamseln Y oder Z nicht grün waren. TOLL!
Wir verstanden unsere Welt immer besser und die da draußen immer weniger. Wir hatten aber auch einfach nicht mehr das Bedürfnis und vor allem keine Lust mehr, die Welt zu begreifen. Wir wollten UNS begreifen.
Schönschön. Blöd, wenn es kompliziert wird. Jetzt standen wir da und kratzten uns ratlos am Kopf, verstanden die Welt nicht mehr, unsere Welt, die durch einen grauhaarigen bärtigen Mann ins Wanken gebracht worden war.

Mir fällt gerade auf, dass tatsächlich 'Wer' die wichtigste Frage ist.
Wer war der grauhaarige Mann mit Bart?
Phillip war es nämlich definitiv nicht.

Samstag, 7. Juli 2007

Mind are many.

Wann hat man schon mal Gelegenheit, dass sich zu einem Thema so viele Stimmen melden, so viele innere Rollen aufschreien, so viele Masken gefallen sind, dass alle betroffen zu sein scheinen?

Während Cats Worte noch nachklingen, starren nun allesamt schweigend auf das kleine Mädchen, das sein Gesicht hinter rotem Samt versteckt. Alle sind sauer. Häufig bleiben oberste Grundsätze unausgesprochen, geraten zur Selbstverständlichkeit und damit in Vergessenheit. Sind sie erst gebrochen, erinnern wir uns ihrer Bedeutung. Unser oberster Grundsatz hieß, dieses Mädchen von der Welt abzuschirmen. Wie es entfleuchen und sich diese Klatsche abholen konnte, war uns allen ein Rätsel. Keiner hatte eine Erklärung. Vertrauen. In der Tat schien 'Vertrauen' etwas damit zu tun zu haben. Nur was?

Bevor hier Missverständnisse aufkommen. Ich bin keine Multiple oder halte mich für eine solche. Allerdings habe ich sieben therapeutische Jahre hinter mir. Habe hart daran gearbeitet, den Weg in die Normalität zu finden, wobei ich sagen muss, dass nichts in meinem Leben mich weiter von der Normalität entfernt hat als diese sieben Jahre. (Geisterfahrer? Einer? Millionen!!)
Nee, normaler bin ich durch die Reise ins Ich wirklich nicht geworden. Doch besser gehts mir. Viel besser. Auch unter anderem deswegen, weil ich die inneren Muster entwirrt und schätzen gelernt habe. Sie haben nun Namen und Gesichter. Das finde ich übersichtlich. Welche Rolle ich dabei spiele? Normalerweise bin ich die Kontrolleurin des Ganzen. Normalerweise? Eben. Das ist genau der Punkt. Je selbstbewusster sie wurden, meine Ritterinnen der Tafelrunde, um so mehr gerieten sie außer Kontrolle. Und mir isses mittlerweile auch völlig latte, was sie so treiben. Was erstaunlich lange gut ging. Steuerlos hat es auch mehr Spaß gemacht, und ich hatte endlich mal meine Ruhe. Kontrolle ist ja so anstrengend. Ob Vertrauen tatsächlich besser ist, sei dahingestellt, jedenfalls ist es ohne Kontrolle bequemer. Und ehrlich gesagt amüsanter.
So kam es zum Beispiel einmal vor, dass Cat zu einer Elternversammlung ging. Sie benahm sich erwartungsgemäß daneben. Hat in zwei Stunden - immerhin draußen - zwölf Zigaretten geraucht. Und lauter unanständige Sachen gesagt. Laut. Und ständig. Man war entsetzt und ich belustigt. Belustigt! Man stelle sich das vor. Cat kannst du normalerweise grade mal zu einem Rockkonzert fahren lassen, und selbst da müssen manchmal Theresa oder Gaby einspringen, weil Cat sich einfach nicht benehmen kann. Und dann geht sie alleine auf einen Elternabend? Ja. Hat sie gemacht. Und ich kann drüber lachen. Wie befreiend. Gaby, die völlig humorfrei ist, war ziemlich besorgt, aber sie war die einzige, die daran Anstoß nahm. Ansonsten hat sogar Rosa hinter vorgehaltener Hand gekichert, als Cat zu einer dicken Mutti sagte, sie solle mal den "Ball flachhalten", es sei schließlich "scheißegal", ob in dem "dämlichen Eisbergsalat" zwei Vitamine weniger seien als im Kopfsalat. Es gab Leute, wirklich nette Leute, die fanden das überaus sympathisch. Wir waren überrascht.

Aber jetzt haben wir den Schlamassel. Gelber Alarm um die Tafelrunde. Auf manche Stimmen dürfen wir noch gespannt sein. Am meisten fürchte ich Agathes Kommentare. "Das musste ja so kommen. ", wird sie sagen und dergleichen unerquickliches mehr. Und Kathrin. Auf Kathrin freu ich mich. Sie ist unsere Spötterin. Aber sie will sich noch nicht zeigen. Kein Wunder. Wer will schon spotten, wenn bittere Tränen fließen...

Konfliktüberwältigung

Ich habe mit meinem Chef geschlafen. Das ist - in überaus vielschichtiger Hinsicht - eine mittlere Katastrophe in meinem erstaunlich alltäglichen Lebensallerlei. Wie dehnbar ist ein Begriff wie 'Katastrophe'? Was genau sind die 'katastrophalen' Aspekte innerhalb dieser prekären Angelegenheit? Und trifft es 'prekär' nicht viel eher als 'katastrophal'?
Natürlich sind wir beide verheiratet. Nicht miteinander, versteht sich. Nicht schön, aber noch keine Katastrophe. Passiert mehrfach jeden Tag, soweit ich es überblicken kann. Und natürlich treffen jetzt Dienst und Schnaps aufeinander. Auch das ist unschön. Aber ebenso wenig katastrophal.

Katastrophal sind meine Fragen. Warum ich nach zehnjähriger, wenn auch nicht flirtfreier, so doch sexloser Freundschaft mit einem zwanzig Jahre älteren Mann schlafe, zum Beispiel. Oder er mit mir? Das sind nur zwei von einhundert Fragen, die in mir ein Stimmengewirr auslösen, das von süßlich säuselnd bis hin zu ängstlich flüsternd reicht.

Eine sehr aufgebrachte, empörte Stimme in mir, nennen wir sie Gaby, rumort sehr laut. Gaby hat eine leicht nörgelige Art zu sprechen, sie beschwert sich gerne und lässt an nix ein gutes Haar. Die werte Meinung von Gaby lautet: "Kein Wunder, dass du das gemacht hast. Dir wurde die Hochzeitsnacht vorenthalten! Und im Laufe deiner achtjährigen Ehe hattest du ungefähr ebenso viele Male, mit Verlaub, sehr schlechten Sex. Acht mal Sex. Acht Mal! Acht Mal in ACHT JAHREN!" Gabys Stimme schnappt über...
Na, wenn das mal keine Katastrophe ist...
Keine Hochzeitsnacht vor acht Jahren, keine folgenden Nächte, kein Kamin, kein dunkelroter Teppich, keine Rosenblätter, kein Kerzenschimmer, kein gar nix.
"Ach Unsinn." hör ich die nächste beunruhigend sanfte Stimme sagen. Theresa ist niemals aufgebracht. Sie hat diesen überlegt überlegenen Tonfall, diesen "ältereunderfahreneFreundinnen"-Tonfall. Mannomann, ist Theresa reflektiert. Daher weiß sie auch: "Du hast einen Vaterkomplex. Und ungeheure Angst, verletzt zu werden. Deswegen hast du einen Mann geheiratet, für den du nur schwesterliche Gefühle hast. Deswegen hast du es so genossen mit Phillip zu flirten, all die Jahre. Die schöne junge unantastbare Frau zu spielen. Wer konnte auch ahnen, dass er irgendwann zugreifen würde. Mach dir keine Vorwürfe. Wichtig ist, dass wir das jetzt einordnen. Dass du dich nicht dafür verantwortlich machst. Immerzu warst du verantwortlich. Das muss doch irgendwann mal aufhören." Blablabla. Immer redet sie so. Schlimm. Wer braucht da noch das Stimmchen von Rosa, die immerzu sagt: "Verliebt! Verli-hiebt! Du warst schon immer in Phillip verliebt. Jetzt habt ihr euch gefunden. Seelenverwandt. Ihr seid seelenverwandt, er wird seine Frau verlassen und du Thomas, und dann werdet ihr glücklich bis ans Ende eurer Tage." Rosa klimpert mit babyblauen Augen unter goldblonden Kringellöckchen. Sie nehm ich am allerwenigsten ernst. Rosa ist sowas von naiv, sie könnte im Lexikon neben diesem Wort abgelichtet sein. Von Seelenverwandtschaft kann keine Rede sein. Die Rückzugsemail von Phillip habe ich gestern erhalten. Er will es wieder tun. Aber mir keine Hoffnung auf 'mehr' machen. Nun gut. Das zu Rosas These.
"Mach ihn fertig!" Die kratzige Stimme von Cat. Wenn man es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie ist im Stimmbruch. Aber sie raucht einfach zu viel. "Väter... Wer braucht schon Väter. Vergisses doch. Alles Arschlöcher! Wart, bis du ihn an der Angel hast und dann gibst du dem alten Wichser einen Arschtritt! Arschloch! Ist doch wahr..." Cat hab ich gern. Sie bringt die Dinge so schön auf den Punkt, Blätter vor dem Mund sind ihr unbekannt. Reflektieren tut sie selten. Sie sieht die Dinge wie sie sind. Zumindest in unserer Welt. "Schau doch bitte mal, was er angerichtet hat." Müde zeigt sie mit ihrer Zigarette auf das kleine zusammengekauerte, tonlos schluchzende Mädchen in der Ecke. In einer rührenden Geste wischt es sich mit dem unterem rotsamtenen Ärmelstück die Augen. "Das ist mein Kleid!" Unpassenderweise hören wir nun Esperanzas schneidende Stimme, die sich tänzelnd auf das kleine Mädchen zuwiegt. "Sie trägt MEIN Kleid!" In der Tat. Es ist viel zu groß. Viel zu weit ausgeschnitten. Hinten und vorne. Und obwohl das kleine Mädchen klein ist, ist das Kleid immer noch bedenklich kurz. Roter Samt. Typischer Esperanza-Stil. "Wie konnte sie nur zu dieser Verabredung gehen? Das war mein Job!" Diese seidige Stimme. Kalter Samt ergibt Seide.
Wir haben Esperanza lange nicht mehr wirklich eingesetzt. Aber da steht sie nun in ihrer ganzen Pracht. Wahnsinnsbeine. Taille, Busen, Po, alles 1A. Die Haut ein Traum, die Haare glänzen glatt und schwer auf ihrer Schulter. Und diese Haltung. Dieser Stil. Der kalte Schimmer in ihren Augen. Unbedingt. Unbedingt hätte sie in dieses Hotel gehen müssen. Esperanza fühlt nicht viel. Aber sie ist verdammt gut im Bett. Ganz großartig. Das weiß sie. Das macht sie so mächtig. Geschmeidig. Traumhaft. Ich kann sie nicht leiden. "Wer hat dieses kleine Mädchen zu diesem Rendevous gehen lassen?" Vorwurfsvoll schaut sie sich im Raum um.
Und noch nicht mal Theresa hat eine Antwort. Wir haben das kleine Mädchen lange nicht gehört. Wir hören es auch jetzt nicht. Wir sehen es nur in dieser Ecke kauern und sich die Augen wischen. Immerzu wischt es sich die Augen. Stumm. Das tut so weh zu sehen. Uns allen. Selbst Esperanza vergisst ihre Sorge um ihr bestes Kleidungsstück. Da sitzt sie die Kleine. In einem Kleid, das ihr hinten und vorne nicht passt. Und sie weint. Aber wir hören sie nicht.
Wir hören nur Cats leise wütende Stimme: "Sie hat ihm vertraut..."

Ich sag's ja. Eine mittlere Katastrophe.

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